Montag, 8. November 2010

12.12. / 21 h: _______ Wahnsinn________ Drugs & Prayers (Helene Basu, 2009), Bethel (Karen Nakamura, 2007)

Drugs & Prayers: Indian Psychiatry in the Realm of Saints

Helene Basu

(Indien, OmeU, 2009, 57 Min.)

Helene Basu stellt das „Dava & Dua Program“ in Gujarat vor: psychatrische Fürsorge und rituelle Gebete werden hier zusammen für die Behandlung psychischer Leiden angewandt.

Some say it's black magic, or love, or she's been fed impure things.“

Bernhard Streck schreibt in seinem Ethno-Wörterbuch über das Gegenteil von Gesundheit: Krankheit existiert nicht in allen Kulturen als Begriff, sondern ist eine vor allem in den Industriegesellschaften verbreitete Kategorie für abweichendes Verhalten, die sich auf unterschiedlichste Stadien körperlicher oder seelischer Veränderung bezieht. In vielen Kulturen wird auch körperliche Krankheit nicht als solche, sondern als Teil eines umfassenden Begriffs von „Krise“, „Leiden“ oder „Bedrängnis“ registriert.

Auslöser für bestimmte Krankheiten werden nicht immer in Kategorien wie Gen-Defekt, Virus, Bazille o.ä. gedacht. Der Mensch als Teil eines kosmischen Gefüges kann daher auch krank werden, falls seine Seele von Dämonen entführt wurde, er sich gegen Ahnengeister, Heilige oder Götter versündigt hat, sich nicht an Gebote der Ethik oder Etikette seiner Kultur gehalten oder verborgene seelische Konflikte nicht wahrgenommen hat (Streck).

What is more effective, drugs or prayers?“ - „Drugs help, prayers help, too.“

Drugs & Prayers handelt von einem Therapieansatz zur Heilung psychotischer Störungen bzw. Hexerei & Besessenheits-Erkrankungen der psychiatrische (dava) sowie religiöse (dua) Fürsorge vereint. Das Dava & Dua Program wurde in dem Bundesstaat Gujarat im Nordwesten Indiens durch Psychiater_innen und Sozialarbeiter_innen initiiert. Träger des Programms ist die NGO ALTRUIST und die Psychiatrie in Ahmadabad. Das Programm ist räumlich an den Schrein der Sufi-Heiligen Mira Datar und seiner Mutter Rasti Ma angegliedert. Mira Datar war ein Märtyrer im 14. Jh. der für die Verteidigung des Islams starb. Begraben in einer Silber-Krypta ist er heute berühmt v.a. dafür, dass er Frauen vor eindringenden Dämonen verteidigt.

Die Filmemacherin Helene Basu nähert sich in offener und respektvoller Art an die Erfahrung des Wahnsinns. Sie offeriert Gefühlshorizonte, die in „unserer“ Gesellschaft durch die Dominanz der Anstalt – die sich außerhalb der Gesellschaft befindet – als bedrohlich und fremd konstruiert wurden. Dieser Film ist nicht nur für Liebhaber_innen der Medizin- und Religionsethnologie eine wahrhafte Bereicherung.


Bethel: Community and Schizophrenia in Northern Japan

Karen Nakamura

(Japan, OmeU, 2007, 41 Min.)

Welcome to Bethel everybody, we're the face of Bethel, how are you? What ever you learn here, please don't be surprised!

Gleich zu Beginn, werden wir im verschneiten Urakawa mit einem Lied begrüßt:

Isn't Schizophrenia terrible? With its hallucinations, voices, and delusions? You just can't stand not doing anything so you end up cutting yourself.

Das Bethel Haus wurde 1984 gegründet, um Menschen mit psychischen Leiden zu helfen, in einer Gemeinschaft außerhalb der Klinik zu leben. Wie in unseren Gefilden, ist es auch in Japan keine Seltenheit, dass erwachsene Psychiatrie Patient_innen in einen Drehtür-Psychiatrie-Mechanismus fallen – gerade entlassen und schon wieder drin. Das „Draußen“ geht zumeist unbarmherzig mit dem „Wahnsinn“ um.

Lévi-Strauss schrieb in seiner strukturalen Anthropologie dazu: „Indem man aus dem Hysteriker oder dem Maler mit neuen Tendenzen Anomale machte, gestattete man sich den Luxus zu glauben, sie gingen uns nichts an und sie brächten eine soziale, moralische oder intellektuelle Ordnung, die man angenommen hatte, nicht bereits auf Grund ihrer Existenz in Gefahr.“

Dieser Film zieht seinen „ethnologischen“ Wert nicht aus der offensichtlichen Fremdheits-Doppelung sondern durch die Weise, wie er sich den Menschen nähert – nach dem Versuch, ohne Hierarchien denken zu können. Nakamura gelingt es, die Kamera vergessen zu machen, den Bruch zwischen Eigen- und Fremd aufzuheben und bei der Zuschauerin am Ende das Gefühl zu erzeugen, sie selbst habe viele neue Freundschaften geschlossen. Ein würdiger Abschlussfilm – witzig, ehrlich und einfach hinreißend.

1 Kommentar:

  1. Ich fand die Filme beide sehr spannend und es ueberhaupt grossartig, auf einem festival ethnologische filme zum thema wahnsinn zu sehen.
    leider waren die filme sehr unskeptisch: sowohl die japanische als auch die indische institution wurden ein stueck weit verherrlicht, zumindest wurde keinerlei kritik laut. auch eigentlich ethnologische fragen nach der eventuellen kulturellen konstruktion psychischer krankheit, bzw die suche nach kulturellen oder sozialen ursachen fuer die psychischen krankheiten blieben leider aus. zudem kamen die patienten selten zur sprache...

    ich finde es dennoch toll, dass ihr euch "traut", solche filme zu zeigen und hoffe auf anverwandlungen auch im naechsten jahr. was ich mir dann wuenschen wuerde, sind kurze pausen zwischen den filmen zum luft holen und kurz sacken lassen und vielleicht kleine diskussionen (auch wenn die regisseure nicht da sein koennen). bei so brisanten themen waere das gemeinsame publikumsgespraech sicher ne prima sache!
    seid gegruesst, bine

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